Die aktuelle Lage ist für viele Leute in meinem (nicht nur, aber vor allem autistischen) Umfeld sehr belastend. Es passiert sehr viel Neues in kurzer Zeit, ständig verändert sich etwas und wie es weitergeht ist schwer vorherzusehen. Das ist für viele, insbesondere auch autistische Menschen sehr schwierig und verunsichert. Veränderungen machen vielen von uns Angst oder verursachen zumindest Stress, ganz besonders, wenn man keine Kontrolle darüber hat. Unser Alltag verändert sich gerade fremdbestimmt massiv und es ist sehr schwierig sich daran anzupassen. Das kann einen schnell überfordern. Hinzu kommen dann vielleicht auch noch Ängste um die eigene Gesundheit oder die von nahestehenden Menschen, insbesondere wenn man (wie ich und viele in meinem privaten und beruflichen Umfeld) ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 hat. Besonders häufig höre ich in meinem autistischen Umfeld auch, dass sie am meisten Angst vor einer möglichen Quarantäne haben. Mehr als vor einer Krankheit an sich. Die vielen Nachrichten und Medienbeiträge zum Thema sorgen leicht für einen Informationsoverload, die Ängste, Sorgen und mitunter Panikmache in den sozialen Netzwerken für emotionale Überlastung. Viele fühlen sich überwältigt und haben das Gefühl keine Kontrolle mehr über das eigene Leben zu haben.
Ihr seid mit diesen Gefühlen nicht allein.
Es ist eine schwierige, belastende Situation.
Ich möchte mit euch teilen, wie ich versuche damit umzugehen. Vielleicht findet ihr ja ein paar hilfreiche Strategien oder Ideen in diesem Beitrag, die ihr auch für euch umsetzen wollt. Wenn ihr wollt, schreibt doch auch einen Kommentar mit euren persönlichen Strategien.
1. Medien
Ich versuche meinen Medienkonsum zu kontrollieren, indem ich meine Informationen aus ein paar ausgewählten, seriösen Quellen beziehe und alles Andere ignoriere. Ich möchte mich gezielt ein paar Mal am Tag informieren und dazwischen keine Medien zum Thema konsumieren. Das Aufsaugen aller möglichen Informationen, Nachrichten und Berichte ändert nichts am Ansteckungsrisiko oder meiner persönlichen Situation. Es verursacht nur Stress und verstärkt Ängste. Es ist normal, dass ich versuchen will die Situation zu kontrollieren und Informationen aufsaugen ist für mich (und viele Autist*innen) eine natürliche Strategie. Aber hier funktioniert das nicht gut und es überfordert schnell, weil es gerade sehr unübersichtlich ist und viel Katastrophenstimmung mitschwingt. Es genügt, wenn man über die aktuellen Fakten informiert ist.
Was ich momentan nutze:
- Einmal am Tag (unter der Woche) Das Corona-Virus Update mit Christian Drosten: https://www.ndr.de/nachrichten/info/podcast4684.html
- Ab und zu offizielle Informationen der lokalen Behörden checken (für Nürnberg: https://www.nuernberg.de/internet/stadtportal/coronavirus.html) bzw. ein kurzer Blick in die Lokalnachrichten, ob es etwas für mich relevantes Neues gibt
- 1 – 2 Mal am Tag eine kurze Nachrichtensendung hören oder schauen (Deutschlandfunk, Tagesschau, etc.)
- Weiterhin Podcasts, Videos, Artikel zu anderen Themen anhören, anschauen, lesen, die mich interessieren – es gibt noch jede Menge andere Themen auf der Welt
Was ich vermeide oder sowieso nicht nutze:
- große Twittertimelines
- Fernsehen
- unseriöse Medien, die keine sachliche Berichterstattung hinbekommen
- YouTube Startseite (stattdessen schaue ich gezielt in meine Abos)
- Teilen und Verbreiten von Nachrichten oder Panikmache zum Thema in sozialen Medien. Es ist wirklich schon präsent genug und ich möchte nicht dazu beitragen, die Menschen in meinem Umfeld noch mehr damit zu überladen.
Es ist garnicht einfach die richtige Balance mit den sozialen Medien zu finden, wenn das zugleich ein wichtiges Mittel für soziale Kontakte ist. Ich achte zum Glück schon seit Längerem darauf, das nur mit einem ausgewählten, kleinen Personenkreis zu nutzen und die größeren Timelines (Twitter, Mastodon) nur sehr dosiert zu lesen. Praktisch mache ich das so, dass ich nur einen kleinen privaten Twitteraccount habe und zusätzlich ein paar thematische Listen, in die ich gezielt reinschauen kann oder eben auch nicht. Mastodon bietet die Möglichkeit jeden Beitrag mit Inhaltsbeschreibungen zu versehen. Ich klappe die Beiträge zum Thema Corona / Covid-19 also nur ganz gezielt auf, wenn ich das gerade auch wirklich möchte.
2. Hilfe – Alles verändert sich
Wie ich versuche mit den Veränderungen und der Ungewissheit darüber, wie es weitergeht umzugehen, ist eigentlich nicht anders, als sonst auch, wenn ich mit neuen Situationen und Veränderungen konfrontiert werde. Ich versuche mich an Gewohntem und Vertrautem festzuhalten und in ruhigen Momenten vernünftige Pläne für verschiedene Eventualitäten aufzustellen. Dadurch fühle ich mich nicht so hilflos und verloren, weil ich weiß, dass ich die Situation durchgespielt und vorausgeplant habe. Ich muss also nicht ständig darüber grübeln, ich habe einen Plan. Das betrifft hier konkret den Fall eines Verdachts auf eine Infektion mit möglichen Tests, eine häusliche Quarantäne und einen Krankenhausaufenthalt. Was ich bisher sonst noch gemacht habe oder noch vorhabe:
- Routinen soweit wie möglich beibehalten und nur ändern, wenn es garnicht anders geht – auch wenn der Alltag sich ändert (das betrifft Leute, die Home Office machen können sicher noch mehr als mich)
- Keine neuen Strategien, Hobbies oder Projekte anfangen, sondern bei vertrauten Dingen bleiben. Auch wenn es nur Kleinigkeiten sind. Keine Experimente mit Lebensmitteln und Getränken, ich bleibe bei dem, was ich kenne. Es verändert sich schon genug und ich kann nur ein begrenztes Maß an Veränderung verkraften. Trotzdem überlege ich mir, was ich machen würde, wenn eins meiner gewohnten Produkte vorübergehend Lieferschwierigkeiten hat, weil die Leute zuviel hamstern. Aber für die meisten Sachen habe ich sowieso Alternativen im Kopf, weil das immer mal vorkommen kann.
- Mir eine Checkliste für meine persönliche Situation machen, die ich abarbeiten kann, falls ich in häusliche Quarantäne muss (Lebensmittelnachschub, Müll, der Hund, wen muss ich informieren, Tagesablauf,…)
- Eine Liste mit Personen und Stellen machen, an die ich mich wenden kann, wenn ich Hilfe brauche
- Einen möglichen Krankenhausaufenthalt planen und dafür vorsorgen (Hundebetreuung, Blumengießen, Aufklärung des Personals über meine Bedürfnisse…)
- Geplante Aktivitäten und Termine, die abgesagt werden mussten, trotzdem in veränderter Form beibehalten. Zum Beispiel verlagern wir unsere gewohnten Autland-Treffen ins Internet, zur gewohnten Zeit, statt sie ausfallen zu lassen.
3. Allgemeine Maßnahmen, um mit dem Stress umzugehen
Möglichst viel Gewohntes beibehalten, begrenzter (auch sozialer) Medienkonsum, seriöse und sachliche Informationen und ganz normal mit dem Alltag weiterzumachen, so gut es eben geht, hilft mir schon sehr. Der Hund muss trotzdem raus und die Spaziergänge tun uns beiden gut. Ich muss trotzdem weiter zum Arbeiten quer durch die Stadt, weil ich für andere Menschen Verantwortung trage. Was ich mache, um nicht vom Stress überrollt zu werden:
- Spaziergänge mit dem Hund
- Musik hören, die mich entspannt
- Kreative Hobbies wie Stricken und Zeichnen
- Mit Freund*innen in Kontakt bleiben und füreinander da sein
- Gutes Essen und mich da auch mal etwas verwöhnen
- Stimming
- Zwischendurch immer wieder mal alle Geräte wegpacken
- Öfter ein entspannendes Bad
- Mich um den Garten und meine Zimmerpflanzen kümmern
- Lieblingsserien schauen
- Immer wieder bewusst kürzere oder längere Pausen machen, tief durchatmen und etwas runterkommen, Entspannungstechniken. Schon kurze Entspannungssequenzen von wenigen Minuten zwischendurch haben einen nachgewiesenen beachtlichen Effekt.
- Tee trinken
- Andere unterstützen so gut ich kann, aber dabei auch auf meine Grenzen achten. Es ist nicht egoistisch auf sich selbst aufzupassen und die eigenen Grenzen im Blick zu behalten, sondern notwendig.
- Mit dem Rad zur Arbeit fahren
Ich wünsche euch allen, dass ihr einen guten Umgang mit der aktuellen Situation findet und euch nicht in der Angst und Panik verliert, die leicht aufkommen kann. Es ist okay, nach Hilfe zu fragen und sie anzunehmen. Es ist okay, Angst zu haben und den Überblick zu verlieren. Du bist damit nicht allein. Aber es gibt Sachen, die wir machen können, damit es besser auszuhalten ist.
Lasst uns doch weitere Ideen und Strategien in den Kommentaren sammeln. Wie versucht ihr mit der Situation umzugehen? Was hilft euch dabei ruhig zu bleiben? Teilt doch gerne eure Tipps und Erfahrungen, vielleicht hilft es jemandem weiter.
Liebe Grüße
Anna
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