Spezialinteresse – ein schöner Sonntagvormittag. Ich plane, was ich mir demnächst im Radio und Fernsehen aufzeichnen werde. Wie sieht ein schöner Sonntag für euch aus?
Herr Stieglitz
Spezialinteresse – ein schöner Sonntagvormittag. Ich plane, was ich mir demnächst im Radio und Fernsehen aufzeichnen werde. Wie sieht ein schöner Sonntag für euch aus?
Herr Stieglitz
Hiermit berichte ich über das Ermitteln meiner Diagnose.
Ich hatte insgesamt drei Termine, alle fanden in einem großen, ruhigen Zimmer statt. Dieses war zweckmäßig mit einem Schreibtisch und drei Stühlen eingerichtet, die Wand war, bis auf ein Bild, angenehm leer.
Beim ersten Termin in der Praxis hatte ich von der Psychologin keinen guten Eindruck, da wir im Wesentlichen nur die zwei Termine für die Diagnose festlegten.
Allerdings ging sie auf mich als Person gefühlt recht wenig ein.
Sie erklärte mir, dass ich zum ersten Diagnosetermin 60 Euro mitnehmen müsste und zum zweiten Termin Schulzeugnisse (aus den Bemerkungen lässt sich einiges ablesen).
Ich vereinbarte die frühstmöglichen Termine, die sechs Monate später stattfanden.
Der zweite Termin dauerte etwa eine Dreiviertelstunde.
Die Psychologin empfing mich im gleichen Zimmer wie beim ersten Termin. Sie war wieder sehr ruhig und geduldig, was mir positiv auffiel.
Im Folgenden stellte sie mir Fragen zu meiner Familie, ob ich Geschwister hatte, wie sich diese im Vergleich mit mir entwickelt hätten, ob es Probleme bei der Geburt gegeben habe, wie die Jahre von Kindergarten ab verlaufen wären (ob ich Freunde hatte, wie oft ich mich mit diesen traf). Die Stichpunkte, die ich mit meinem Umfeld aufgelistet hatte, scheinen sehr hilfreich gewesen zu sein, sie notierte sich einige von ihnen.
Eine Prognose wollte sie jetzt noch nicht abgeben, was ich auch verstand. Sie fände es sehr gut, wenn zum dritten Termin meine Eltern mitkämen, um quasi eine Sicht von ‚außen‘ zu bekommen,
Wie lange der dritte Termin dauerte, weiß ich nicht genau, schätze aber, wie das letzte Mal eine Dreiviertelstunde.
Meine Eltern waren die gesamte Zeit über mit im Raum und beantworteten die Fragen der Psychologin abwechselnd mit mir.
Diese umfassten die Themengebiete Hobbies (hatte/habe ich ungewöhnliche Interessen?), Empathie (wenn ein Kind auf der Straße hinfallen würde, könnte ich es trösten?), Soziales (wie gut/schnell kann ich neue Kontakte knüpfen?), Freunde (habe ich ungefähr gleich viel wie meine Eltern/Geschwister?), Emotionen (habe ich eine sichtbare Mimik; kommt es vor, dass mein Gesichtsausdruck nicht zu meinen Gefühlen passt und missverstanden wird?). Sie füllte dabei einen zweiseitigen Fragebogen aus, auf dem sie meistens 0 oder 1 eintrug, aber das nur am Rande. Nicht erwähnt wurden die Themen Sexualität, Depressionen und Allein-fühlen, was mich wunderte, weil ich diese gefühlt öfter mit anderen Autisten bespreche.
Die Schulzeugnisse der ersten bis vierten Klasse, die ich schon kopiert mitgebracht hatte, behielt sie, da sie ausführlicher waren, als sie wohl erwartet hatte (je mindestens eine Seite pro Halbjahr) und sie sich diese noch einmal genauer ansehen wollte.
Den Bericht=die Diagnose bekomme ich innerhalb von vierzehn Tagen zugeschickt, wenn wir (ich und Eltern) noch Punkte darin erklärt haben wollen, können wir gerne einen Termin vereinbaren.
Der Bericht kam vier Tage später. Er ist zwei vollbeschriebene Seiten lang, sehr ausführlich und ich kann ihn im Wesentlichen, bis auf Kleinigkeiten, verstehen und nachvollziehen. Allerdings habe ich in der Vergangenheit schon viel mit Krankenhäusern und Ärzten zu tun gehabt und kann deswegen dem Sprachstil und den Aufbau leicht folgen.
Herr Stieglitz
Hallo! Das ist mein erster Post auf Autland, also erstmal ein kleiner Rundown.
Ich: 25, Männlich, Informatiker, Hobbyautor, Internetaffin, Asperger-Syndrom. Zoroaster ist mein gewählter Nickname hier, also der Name von Zarathustra, dem persischen Theosophen. Immer auf der Siche nach Wahrheit, bis zum Schluss. Suche nach Wahrheit war immer eines meiner größten persönlichen Anliegen, in welchem Bereich auch immer. Vielleicht auch ein Thema, über das ich mal schreiben könnte: „Autismus und Gerechtigkeits- und Wahrheitsbedürfnis“.
Nun aber in medias res.
„War er ein Tier, da ihn Musik so ergriff ? Ihm war, als zeige sich ihm ein Weg zu der ersehnten unbekannten Nahrung.“
Franz Kafka, die Verwandlung
Nun kann man von Kafka ja vieles behaupten, aber im Endeffekt ist die Entfremdung von der „normalen“ Welt und ihrem „normalen“ Wahnsinn, wie sie Gregor Samsa erfährt, ein mir nicht unbekanntes Gebiet – Wenige bis keine Autisten sind wohl in der Lage, mit dem NT-Alltag umzugehen, ohne sich eine bestimmte Persönlichkeit zurechtzulegen. So auch ich.
Musik, Theater, Kunst im Allgemeinen waren immer meine Möglichkeit, mich in idealisierte Charaktere hineinzuversetzen. Beginnen wir beim Theater. Zum einen ist das einfach – Den Charakteren auf der Bühne liegt das Herz sozusagen auf der Zunge. Hier herrscht -bis auf die Prämisse „Theater“ selbst, keine Täuschung des Zuschauers. Man trifft auf derart abstrahierte, hochdestillierte menschliche Ideale, dass die Einfühlung in die dramatische Person automatisch stattfindet.
Ich habe selbst eine Zeit lang Theater gespielt – Zugegebenermaßen drei Jahre, und zugegebenermaßen nicht gut. Dennoch: Es war erhellend, die Charaktere zum Leben zu bringen. Meiner persönlichen Überlebensstrategie von „Ich spiele jetzt mal NT“ gar nicht mal so unähnlich, aber da es Theater war, das ganze nochmal hochgepumpt wie auf Steroiden.
Dennoch bin ich mit der Zuschauerrolle tiefer verbunden. Ich fühle mich grundsätzlich eher wie ein Zuschauer auf dieser Welt. Sicher, ich kann handeln und Entscheidungen treffen, aber selbst dann kommt es mir eher vor, als ob es „mir passiert“, als dass ich sage „jetzt habe ich gehandelt.“
Musik ist ähnlich. Als Musiker tauge ich zu gar nichts. Also wieder in die Zuschauerrolle gedrängt. Verdammt sei meine versagende Körperkoordination! Dennoch (Und an guten Tagen vermute ich/hoffe ich auf leichte Synästhesie, aber das ist schwer nachzuweisen) kann ich aus Musik sehr viel ziehen. Hierbei geht es, im Gegensatz zum Theater, für mich vor allem um ein emotionales Bedürfnis. Dies ist eine Frage der persönlichen Präferenz – Ich bilde mir ein, die Musikszene gut zu kennen, und kann bestimmt auf Abruf einige Bands nennen, die vorrangig meinen Geist und nicht meine Seele ansprechen – dennoch ist es meist eine Ratio von 60/40 zwischen Gefühl und Gewissen.
Es geht hier also vorrangig um ein Entkommen, einmal mehr, diesmal allerdings anderer Art als beim Theater: So ist Musik für mich kein soziointellektuelles Bedürfnis, sondern eben, wie gesagt, eher eines meiner emotionalen Vergnügen im stillen Kämmerchen. (Protip: Stilles Kämmerchen wird es überall, wo ich Kopfhörer aufsetzen und abdriften kann 😉 ) Musik entgrenzt und emotionalisiert – interessanterweise NT und Autist zugleich. Insofern ist es auch ein Annäherungsmedium für mich.
Das wäre also soweit meine Sichtweise auf einen kleinen Teil dessen, wie ich erfahre, lerne und lebe. More to come, wie der Engländer sagt, sobald mich die Muse packt.
Best Regards – Stay safe out there!
Zoroaster
Das hier wird keine Diskussion über Sinn, Zweck oder persönliche Einstellung zum sozialen Ritual des Sich-Gegenseitig-Was-Schenkens anlässlich eines christlichen Feiertags oder anderer Festlichkeiten. Auch nicht über Pro & Contra von unkontrolliertem Konsum 😉 Und überhaupt. Auch wenn das sicher alles legitime, interessante Themen sind.
Stattdessen will ich hier nur mal eine Sammlung von Sachen veröffentlichen, mit denen man autistischen Freunden und Verwandten (aber sicher nicht nur diesen) vielleicht eine Freude machen kann. Wir haben alle so unsere individuellen Vorlieben, wie alle andern Leute auch. Darum beschränk ich mich auf Sachen, die irgendwie mit Autismus in Zusammenhang stehen.
Habt ihr noch weitere Tipps oder Ideen? Worüber freut ihr euch besonders? Worüber hat sich euer autistisches Kind besonders gefreut? Ab in die Kommentare damit! 🙂
Viel Spaß beim Verschenken oder was natürlich auch immer geht: sich selbst beschenken! 😀
Anna
Manchmal geht es eine zeitlang gut. Meine Konzentration und Energie reichen aus, um in Unterhaltungen nicht nur an den eigentlichen Inhalt zu denken und meine Gedanken dazu auszudrücken, sondern parallel dazu auch über das WIE nachzudenken. Ich habe gelernt, dass WIE ich etwas ausdrücke den Menschen sehr oft wichtiger ist, als das WAS ich eigentlich zu sagen habe. Wenn das WIE nicht stimmt, ist das WAS irrelevant, während es für mich genau andersrum ist.
Aber oft reichen meine Konzentration oder Energie nicht aus, um über all diese Regeln und Konventionen und Formulierungsnuancen nachzudenken, während ich über etwas spreche und zuhöre und verarbeite. Und manchmal geht es mir auch nur so wahnsinnig auf die Nerven, dass ich nicht die geringste Lust und Geduld habe mich diesem für mich nutzlosen und überflüssigen Zwang zu unterwerfen. Wenn mich jemand anruft und mich damit in einer wichtigen Sache unterbricht und dann anfängt über unzusammenhängende irrelevante Dinge zu reden. Und ich dann unterbreche und frage: „Warum rufst du an?“. Es ist schon eine enorme Leistung, wenn ich überhaupt mal ans Telefon gehe. Das schaffe ich nur bei wenigen ausgewählten Menschen. Was ist daran verkehrt?
Dann sagt man mir, ich sei ZU abweisend, ZU unfreundlich, ZU direkt, ZU hart, ZU schnell, ZU wasauchimmer. Ich bin also das Problem. Immer wieder. Dabei will ich doch nur wissen, was der Andere eigentlich von mir will. Oder nur ausdrücken, was ich denke. Manchmal werde ich dann wütend, auf jeden Fall ist es immer wieder sehr frustrierend. Aber eigentlich, unter all dem Frust, bin ich einfach nur verletzt. Immer wieder und wieder sagt und zeigt man mir, dass ich einfach nicht richtig bin, so wie ich bin. Dass meine Gedanken und Worte im Grunde überhaupt niemanden interessieren. Sonst wäre das WIE nicht soviel bedeutender, als das WAS ich zu sagen habe oder dass ich überhaupt etwas sage.
Dann ist der erste Impuls Rückzug. Kommunikation einstellen. Einfach garnichts mehr sagen, weil es sowieso das Falsche sein wird. Und manchmal ist Schweigen dann alles, was ich kann. Manchmal tage- oder wochenlang. Schweigen und meine Gedanken denken und wissen, dass zumindest ich mich selbst richtig verstehe.
Auch wenn ich nicht gerne komplexe Dinge auf wenige Aspekte reduziere, beobachte ich doch, dass dieses Kommunikationsproblem mit anderen Autist*innen viel seltener auftritt. Auch hier ist nicht garantiert, dass zwei sich automatisch richtig verstehen oder auf die gleiche Weise kommunizieren. Wir sind von so vielen unterschiedlichen Einflüssen geprägt. Aber hier habe ich weniger Angst, dass mir aus dem falschen WIE ein Strick gedreht (RW) wird. Hier weiß ich, dass die meisten im Zweifel einfach nachfragen, wie ich etwas gemeint habe. Oder mir direkt sagen, wenn ich etwas Verletztendes oder Unangebrachtes gesagt habe oder ihnen einfach nur auf die Nerven gehe. Manchmal bemerken sie das WIE in erster Instanz schon nicht. Weil der Inhalt zählt. Weil das WAS zentral ist. Weil sie vielleicht selbst verunsichert sind und gewohnt die Dinge immer wieder falsch zu verstehen. Da ist weniger Verurteilung, weniger Erwartung, weniger Missverstehen. Dafür mehr Respekt, mehr Ehrlichkeit und mehr Sensibilität. Das sollte man sich mal auf der Zunge zergehen lassen (RW).
Es gibt auch mit nichtautistischen Menschen gelingende Kommunikation. Es ist nicht einfach so schwarz-weiß. Es setzt Offenheit und die Bereitschaft voraus, sich auf andere Denk- und Ausdrucksweisen einzulassen. Vielleicht sind wir Autist*innen es auch einfach nur viel mehr gewohnt uns und unsere Kommunikation und Wirkung ständig zu hinterfragen und bewusst zu gestalten. Weil es eben nicht automatisch funktioniert.
Anna
Dein Sohn ist doch behindert…
Lange bevor ein Arzt die Diagnose Autismus bei meinem Sohn stellte, hörte ich diesen Satz von einer Mutter. Einer besonders mutigen Mutter, die aussprach, was sich alle schon lange dachten, sich nur nicht wagten, es zu äußern. Auch ich. Trotzdem trafen mich diese Worte wie ein Faustschlag.
Das etwas anders war, ahnte ich nämlich schon lange. Im Grunde schon kurz nach der Geburt, aber spätestens bei der U3, als der erfahrene Kinderarzt meinte, dass mein Sohn nicht auf Geräusche reagieren würde. „Entweder ist er taub, oder….“ Leider ging er kurz darauf in Rente und ich sollte viele Jahre keinem kompetenten Arzt mehr begegnen.
Das Gehör wurde jedoch noch überprüft und man stellte fest, dass mein Sohn erst bei 120 Dezibel eine Reaktion zeigte, aber das Gehör war sonst intakt. So schob ich das komische Gefühl erstmal beiseite und beobachtete und beobachtete, damals hatte ich keine Ahnung von Autismus. Feststellen konnte ich, dass mein Sohn kein glückliches Kind war, er schrie sehr viel und schlief kaum. Nur in seinem Laufställchen war er glücklich. Ich gestehe, dass ich auch an eine geistige Behinderung gedacht habe, denn viel Kontakt konnte man nicht mit ihm aufnehmen, selten sah er mich an. Aber ich beobachtete, wie er mit 8 Monaten mit seinen Legosteinen umging. Fiel eines aus seinem Ställchen, dann griff er danach und weil er mit der geschlossenen Faust nicht mehr durch das Gitter kam, stellte er sich hin und griff dann mit der anderen Hand danach. Geistig behindert sah das nicht aus. Außerdem baute er damit ein Haus. Jeden Tag das gleiche, mit den selben Farben an der selben Stelle.
Auch ansonsten entwickelte er sich normal – nur schien es dennoch eine motorische Ungeschicklichkeit zu geben, denn wenn er lief, lief er, egal was ihm im Weg stand, er lief einfach darüber hinweg. Den neuen Kinderärzten fiel allerdings nichts auf und man fand „alles normal“. Das half, um meine innere Stimme vorerst zum Schweigen zu bringen. Sie muckte allerdings wieder auf, als ich mit meinem Sohn in eine Krabbelgruppe ging und die gleichaltrigen Kinder sich auffällig anders verhielten. Sie sprachen nämlich mit ihrer Mutter, oder zumindest verstanden sie, wenn diese etwas von ihnen wollte. Mein Sohn sprach nicht mit mir (aber er ist ja noch so klein, versuchte ich mich zu beruhigen) und er schaute mich nicht an.
Unruhiger wurde ich wieder, als ich beobachten konnte, wie sich die nur 16 Monate jüngere Schwester entwickelte. Aber auch dafür gab es Erklärungen: „Es ist doch ein Mädchen, die sind immer fitter als die Jungs“. Ja, das sollte es wohl sein.
Dann kam der erste Tag im Kindergarten. Ich mache es kurz: mein Sohn war keine 2 Wochen dort, dann bat man mich, ihn herauszunehmen. Und da fiel zum ersten Mal das Wort „Autismus“, welches ich dann auch beim Kinderarzt aussprach. Da sah ich ihn zum ersten Mal, diesen Blick von Ärzten, wenn man sich wagt, eigenmächtig eine Diagnose auszusprechen. Inzwischen habe ich gelernt, dass man das nicht darf. Man nennt nur die Symptome, aber die Diagnose kommt vom Arzt. Das zu lernen, hat mich mehrere Jahre gekostet, schließlich bin ich, wie ich heute weiß, selbst Autistin und soziale Regeln sind mir zwar inzwischen nicht mehr fremd, müssen aber erlernt werden. Damals jedenfalls war mir nicht klar, dass es automatisch NICHT zu einer Diagnose kommt, wenn man selbst damit ankommt. Jedenfalls war auch damals wieder „alles normal“.
Ja….dann hörte ich zufällig von einer SVE (Schulvorbereitenden Einrichtung) und meine innere Stimme, die zum Glück nie ganz verschwand, riet mir, meinen Sohn dort vorzustellen. Sie beobachteten ihn und ich sah ein Lächeln auf den Lippen der Förderlehrerin, als sie ihn betrachtete. Er spielte mit einem Auto und sprach mit sich selbst und benutzte dabei auch allerlei Fremdwörter – aber ein normales Gespräch konnte man nicht mit ihm führen. Außerdem faszinierten ihn Zahlen, die für ihn „leuchteten“, oder verschiedene Farben hatten. Er legte auch gerne Puzzle, dabei war es egal, ob die Vorder – oder Unterseite zu sehen war. Wichtig war nur, dass man nur EINE Seite sah, war ein Teil falsch herum, erkannte er es nicht und schrie. Jedenfalls bekam er den Platz in der SVE.
Die Förderlehrerin war ein Schatz, sie erkannte schnell, wo die Schwierigkeiten meines Sohnes lagen, sie sah aber auch seine Stärken. Dadurch, dass nur 8 Kinder in der Gruppe waren und neben der Förderlehrerin noch eine Erzieherin, konnten sie auf jedes Kind gut eingehen. Keines der anderen Kinder interessierte sich für Zahlen oder Buchstaben, aber das war egal, mein Sohn durfte sich seine Bücher ansehen und so brachte er sich auch selbst das Lesen bei – eine richtige Interaktion kam nämlich noch immer nicht zustande, obwohl er mehr und mehr zu verstehen schien, wenn auch auf seine Weise. Einmal erzählte die Förderlehrerin, wie sie zu ihrer Kollegin scherzhaft meinte: „Jetzt habe ich aber die Nase voll!“ und mein Sohn daraufhin in ihre Nase schaute und feststellte: „Da ist doch gar nichts drin.“
Auch sonst zeigte sich mein Sohn, sagen wir mal….sprachlich kreativ. Mit der Zeit sammelten sich eine Menge Wörter an, die er sich ausgedacht hatte. Aus Hustenbonbons wurden „Arztbonbons“, aus dem Mundwasser „Gurglung“ und aus dem Rechen ein „Leiterbesen“. Auch sonst fiel seine Kommunikation auf, auch wenn man dafür gut hinhören musste. So fragte ihn ein Arzt aus dem BKH, den ich auf Rat der Förderlehrerin aufsuchte, einmal: „Seit wann hast du denn deine Brille?“ Mein Sohn: „Meine Brille ist grün.“ Ich beobachtete damals die Szene und überlegte gerade, ob der Arzt, wie schon viele davor, es dabei belassen würde, weil ihm schlichtweg nichts aufgefallen ist, als er mich überraschte und weiter fragte: „Ich habe dich aber gefragt, seit wann du deine Brille hast?“ Mein Sohn daraufhin, der schon gemerkt hatte, dass er die falsche Antwort gegeben hat: „Meine Mutter hat auch eine Brille.“ An der Reaktion des Arztes konnte ich feststellen, dass es endlich registriert worden ist – da stimmt etwas nicht!
Mit der Zeit merkte ich, dass mein Sohn immer wieder „auswendig“ gelernte Sätze von sich gab, als hätte er eine Kiste mit lauter Karteikarten und Begriffen und würde bei jedem fallendem Begriff eine Karte mit dem Satz dazu herausnehmen. Bemerkte er aber, dass ein Satz nicht passt, speicherte er es ab. So machte er mit der Zeit immer weniger „Fehler“ und heute, mit 15 Jahren, geschehen sie kaum noch. Im Gegenteil, er ist sogar besonders Sprachbegabt, Latein zählt zu seinen Lieblingsfächern.
Nach der SVE sollte mein Sohn natürlich die Schule besuchen – nur welche? Er konnte lesen, schreiben, bis unendlich zählen, rechnen……aber sich „sozial adäquat verhalten“…nein, das konnte er nicht. Noch einige Jahre später lag er in der Schule noch oft unter dem Tisch, oder zerbrach seine Brille oder den Füller. Daher fiel die Wahl auf eine Förderschule. Ziemlich zeitgleich hatte ich Kontakt mit dem Jugendamt aufgenommen, weil man mir zu einer Therapie in der Autismus-Ambulanz riet und der Kostenträger nun mal das Jugendamt ist. Leider, denn dass damit ein weiteres, leidvolles Kapitel aufgeschlagen wurde, konnte ich nicht ahnen.
Die Psychologin vom JA zweifelte an der Diagnose, nicht nur das, sie warf mir an den Kopf:“Sie haben wohl lieber ein behindertes, als ein hochbegabtes Kind?“ Damit traf sie einen wunden Punkt, denn noch immer hatte ich die Hoffnung, dass sich alles verwachsen würde. So stimmte ich zu, dass mein Sohn nach der Schule in eine Heilpädagogische Tageststätte gehen sollte, (aber nicht ohne mir eine zweite Meinung vom einem Facharzt zu holen, der abermals die Diagnose Autismus stellte) was am Ende jedoch nur eine einzige Quälerei war, denn die anderen Kinder nutzen jede unbeobachtete Minute, meinen Sohn zu schlagen, beschimpfen und zu bespucken. Als ich die Maßnahme beendete, erntete ich nur Unverständnis, niemand wollte hinsehen, was da passiert ist. Nur ich hatte ein Kind, das mir erzählte, nicht mehr leben zu wollen.
Die Förderschule hatte mein Sohn schon nach 6 Wochen verlassen – das Tempo dort war viel zu langsam für ihn. Glücklicherweise hatte er in den ersten zwei Jahren in der Grundschule die Schulspychologin als Klassenlehrerin, die gut mit ihm umgehen konnte. Sie ließ ihn unter dem Tisch liegen, aber auch vor die Tür gehen, wenn er seine Ruhe brauchte. Das änderte sich mit dem dritten Schuljahr, als er eine Lehrerin bekam, die mehr als nur genervt von ihm war. Wieder ging es meinem Sohn sehr schlecht und diesmal bekam er einen Platz in einer Tagesklinik. Dort wurde – nach Kontakt mit dem JA – eine andere Diagnose gestellt, eine „Anpassungsstörung“. Interessant, wie ich heute denke, denn die „Anpassungsstörung“ dauert nun schon lebenslänglich. Außerdem riet man mir, auf der weiterführenden Schule – ein Gymnasium – erstmal nichts zu sagen. Anders gesagt: man nahm mich nicht ernst.
Aber…ich hielt mich wieder an den Rat des Arztes und es war die schlechteste Entscheidung, die ich hätte treffen können. Es dauerte nur wenige Tage, bis der erste Anruf aus der Schule kam, mit dem bitteren Vorwurf, wie ich denn mein Sohn ohne Aufklärung dorthin schicken könnte. Zeitgleich ging es meinem Sohn wieder schlechter, wieder kamen Suiziddrohungen. Glücklicherweise bekam er schnell einen Platz in der KJP, wo er über 2 Monate hinweg stationär beobachtet wurde. Danach war klar, dass es Autismus ist. Auf meine Frage, weshalb man die Diagnose nicht in der Tagesklinik gestellt hätte, antwortete man mir: „Die haben ihn ja nur tagsüber gesehen, wir ihn aber rund um die Uhr“. Witzig, denn die gleiche Frage hatte ich auch schon in der Tagesklinik gestellt, weshalb denn die Fachärzte eine andere Diagnose gestellt hätten. Da kam: „Ja, aber sie haben ihn immer nur kurz gesehen, wir aber den ganzen Tag.“
Auch nach der Diagnose lief es auf dem Gymnasium nicht mehr gut. An den Noten lag es nicht, aber das Verhältnis zu den Lehrern war nicht mehr zu korrigieren und auch die Eltern der anderen Kinder fanden es befremdlich, mit dem „Behinderten“, denn der hatte nun auch noch eine Schulbegleitung. Es gab Mütter, die sich bei mir beschwerten, dass mein Sohn Unterstützung bekommt, aber ihres nicht. Wenn ich fragte, ob ihr Kind eine Diagnose hätte, kam:“Nein, aber es ist trotzdem ungerecht“. Die Schulbegleitung machte es nicht besser, denn die Dame schrie auch die anderen Kinder an und regelmäßig gab es Beschwerdebriefe an die Schulleitung.
Mir wurde klar, dass ich meinen Sohn da raus nehmen musste und suchte nach einer Alternative. Das war nicht einfach. Ich war zu diesem Zeitpunkt selbst in der Schule, einer BOS, um mein Abitur nachzumachen und gerade im „Abistress“. Aber mein Sohn ging vor und so klapperte ich mit Hilfe des AKM alle Schulen ab, bis ich endlich eine fand, die sich – mit mehrmonatiger Vorbereitungszeit – bereit erklärte, meinen Sohn aufzunehmen. Auch dort lief zu Beginn nicht alles gut. Mein Sohn wurde mit Essensresten beworfen, ihm ein Stift in der Umkleidekabine in den Po gesteckt, ihm sogar eine Schnur um den Hals gelegt und zugezogen. Aber ich hatte Unterstützung, mein Sohn mittlerweile eine gute Schulbegleitung und diesmal die Schulleitung hinter uns. Es gab viel Aufklärung von Seiten der Schule und mit Unterstützung vom AKM und vom MSDA. Ich kann nicht sagen, dass mein Sohn jetzt voll integriert ist, aber er wird akzeptiert. So wie ich inzwischen akzeptiert habe, dass mein Sohn behindert ist – so wie auch ich es bin.
„Autismus ist kein Verbrechen“, lautet die Aussage des Hashtags, unter dem gerade auf Twitter weltweit Autist*innen gegen die massive Konstruktion einer kausalen Verbindung von Autismus und Gewaltverbrechen durch die Medien protestieren. Dabei entstehen gerade unzählige, fantastische Blogartikel.
Aktueller Auslöser ist die Mordserie durch Elliot Rodger in Kalifornien. Bei ihm wurde angeblich als Kind das Asperger-Syndrom diagnostiziert, behauptete eine Zeitung. Reflexartig griffen andere Medien diese Aussage auf, insbesondere hier in Deutschland schaffte es dieses Detail direkt in die Überschriften, während alle anderen, wirklich wichtigen Umstände völlig vernachlässigt wurden. Wie zum Beispiel der maßlose Frauenhass des Täters oder die Namen seiner Opfer. Oder dass er seine Taten angekündigt hat, die Polizei das aber nicht ernstnahm. Oder dass er seit vielen Jahren in therapeutischer Behandlung war und trotzdem niemand etwas getan hat. Oder dass er in den USA ganz legal ein ganzes Waffenarsenal ansammeln durfte. Alles nicht wichtig, so lange man eine schöne Schlagzeile hat und so ein autistischer Amokläufer macht sich doch immer gut (Ironie).
Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass es noch nicht mal die Wahrheit ist. Eine reine Vermutung der Eltern, die ihren Sohn nicht verstanden haben und überfordert waren. Autisten ist ja schließlich alles zuzutrauen und die Eltern sind dann unschuldig. Die können ja nichts dafür, dass er zu solchen Monströsitäten fähig war, er war ja Autist! (Ironie)
Wie auch immer, ich finde es garnicht wichtig, ob er denn jetzt nun Autist war oder nicht. Es spielt schlicht und ergreifend keine Rolle. Was ich allerdings wichtig finde, ist der Umgang der Medien damit. Er war vor allen Dingen ein Mensch, der Frauen und andere Menschen so sehr gehasst hat, dass er sie umgebracht hat. Das spielt eine Rolle. Über die Gründe dafür sollen Andere schreiben – was aktuell auch ausgiebig getan wird.
Autismus ist kein Verbrechen. Vor allem ist Autismus nicht die Ursache für Gewalttaten, die von Menschen verübt werden.
Autisten begehen weniger Verbrechen als Nichtautisten, werden gleichzeitig aber wesentlich häufiger Opfer von Gewaltverbrechen. Wir werden schon als Kinder geschlagen, getreten und gedemütigt. In der Schule, auf der Straße und in unserem eigenen Zuhause. Wir werden behandelt wie Dreck. Kinder und Jugendliche terrorisieren und quälen ihre autistischen Mitschüler*innen. Mobbing, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen sind auch für erwachsene Autist*innen bittere, tägliche Realität.
Als wäre das noch nicht genug, stellt man uns bei jeder nur möglichen Gelegenheit als Gewaltverbrecher dar. Gefühlskalte, emotionslose Monster, die Menschen bestialische Dinge antun.
UNS tut man bestialische Dinge an. Bestialisch = unmenschlich. Man quält, missachtet und misshandelt uns und spricht uns unsere Menschlichkeit ab. IHR tut uns das an. IHR, die ihr am lautesten „Monster“ schreit, wenn wieder mal ein Autist als Verbrecher in den Medien dargestellt wird. IHR, die ihr fordert, man solle uns alle wegsperren. IHR, die ihr autistische Kinder „nur zur Sicherheit“ mit Mikrochips markieren wollt, als wären sie Hunde. IHR, die ihr uns das Recht zur Reproduktion absprecht. IHR, die ihr fordert, man solle uns am besten direkt umbringen.
IHR wagt es zu urteilen?
Wer ist hier wirklich das Monster?
Wer von uns verhält sich wirklich unmenschlich?
Vor wem sollten wir wirklich Angst haben? – Vor dem überforderten autistischen Kind, das in einer feindseligen Umwelt zu überleben versucht? Oder vor den Kindern, die es brutal zusammenschlagen, sein Leben bedrohen und es dann noch anpinkeln? (Ja, das erleben sehr viele autistische Kinder Tag für Tag.)
Eure scheinheilige Doppelmoral widert mich an. Ihr lasst zu, dass eure eigenen Kinder Andere wie Dreck behandeln und dann stellt ihr uns als emotionslose, asoziale Monster dar. Merkt ihr wirklich nicht, wer hier tatsächlich das Problem ist? Fragt euch doch endlich, was mit dem Sozialverhalten EURER Kinder nicht stimmt, wenn sie auf Schwächere einprügeln müssen, sie demütigen und ausgrenzen. Fragt euch lieber, was mit EUREM Menschenbild nicht in Ordnung ist, wenn ihr sie dafür auch noch in Schutz nehmt.
Aber hört verdammt nochmal auf uns als Verbrecher hinzustellen. Und fangt endlich damit an respektvoll und achtsam mit anderen Menschen umzugehen. Mit allen Menschen. Das schließt auch die ein, die ihr nicht versteht, weil sie anders sind, als ihr es seid.
Anna
Es ist für mich gar nicht so einfach, mich vorzustellen, wenn man bedenkt, was sich der Andere „vorstellt“ bei meinen Worten. Aber ich will versuchen, über mich einen kleinen Einblick zu geben.
Ich bin hier bei Autland „gelandet“, weil ich Asperger Autistin bin. Offiziell bin ich das noch nicht lange, wenn man bedenkt, dass ich schon 39 Jahre alt bin. Die Diagnose habe ich erst nach unzähligen Arzt/Psychologen/Psychiater-Besuchen und nach geschätzten 3 Jahrzehnten erhalten. Hätte ich nicht auch einen autistischen Sohn, hätte ich sie wohl nie bekommen, denn erst durch ihn habe ich immer mehr eine Idee bekommen, was mit mir los ist.
Dazu habe ich noch 4 weitere Kinder (eines ist im Grunde kein Kind mehr, denn ab 18 Jahren zählt man ja als Erwachsener) und einen Mann, mit dem ich seit 13 Jahren zusammenlebe (wer rechnen kann, dem ist gerade etwas aufgefallen 🙂 ) und der mich so nimmt, wie ich bin.
Nach „außen“ bin ich nicht sonderlich auffällig, was wohl daran liegt, dass eines meiner Spezialinteressen das menschliche Verhalten ist und ich es schon seit ich denken kann analysiert habe. Schon im Kindergarten ist mir aufgefallen, dass sich die anderen Kinder anders verhalten haben und mit der Zeit habe ich immer mehr gelernt, mich anzupassen, besser gesagt zu „kopieren“. Jeder Verhaltenstherapeut wäre erfreut über mich und ich habe im Laufe des Lebens auch viele Komplimente bekommen, wie positiv ich mich doch verändert hätte. Schön, dass es den Leuten gefällt, aber für mich ist das immer mehr zur Qual geworden. Ich verlasse kaum noch die Wohnung – manchmal wochenlang nicht – weil mich diese Anpassung mittlerweile so anstrengt. Eine Alternative wäre wohl, mich nicht mehr anzupassen – aber ob dann noch jemand etwas mit mir zu tun haben möchte? Das ist auf jeden Fall eine Sache, die mich noch eine ganze Weile begleiten wird.
Ansonsten bin ich sehr gerechtigkeitsliebend. Was wohl auch dazu geführt hat, dass ich, nachdem ich das Abitur auf einer BOS inmitten lauter ca. 20-Jährigen Mitschüler nachgeholt habe (auch eine Zeit, die mich sehr geprägt hat) mit dem Jura-Studium begonnen habe. Dies studiere ich noch immer, allerdings bin ich inzwischen nicht mehr glücklich damit. Mein Ziel war es immer, mich für benachteiligte Menschen einzusetzen – das hat nicht viel mit Jura zu tun. Aber mein Ziel werde ich trotzdem weiter verfolgen, wenn auch möglicherweise mit anderen Mitteln. Mein Traum ist es, eine Begegnungsstätte für uns Asperger-Autisten zu schaffen, mit ganz vielen verschiedenen Möglichkeiten, wo es Hilfe und Beratung gibt, aber auch Gruppen, in denen man ganz ungezwungen diskutieren, kochen, basteln und sonstiges machen kann. Möglicherweise auch mit einem Café, in dem wir Autisten uns wohl fühlen könnten.
Zurzeit brauchen mich meine Kinder noch, auch wenn sie immer selbstständiger werden. Am meisten Unterstützung benötigt allerdings noch immer mein 15-Jähriger Sohn, der inzwischen, nach mehreren Schulwechseln, die 9. Klasse eines Gymnasiums besucht – mit Schulbegleiter. Auch für ihn ist es mir wichtig, Aufklärung zu leisten und zu „dolmetschen“. Mir wird immer wieder klar, dass sich viele NT´s genauso wenig in unsere Welt hineinversetzen können, wie wir in ihre, wobei ich inzwischen schon ganz gut in „NT-Sprache“ bin (was als Nebenwirkung aber dazu führt, dass Autisten Probleme mit dem Verständnis haben). Mein Sohn allerdings spricht „autistisch“ pur, was einerseits sehr schön ist, aber wiederum zu Missverständnissen mit NT´s führt.
Ich merke schon, ich könnte noch einen Roman schreiben :-). Ich werde einfach von Zeit zu Zeit mehr aus meinem Leben berichten und ich bin auch offen für Anregungen, z.B. freue ich mich immer sehr, wenn Mütter von autistischen Kindern um „Übersetzung“ bitten. Es ist nicht schlimm, wenn man sein Kind nicht immer versteht und dies auch offen zu sagen, finde ich anerkennungswert. Ich kenne inzwischen einige NT´s, die durch Autisten wie mich schon sehr gut „autistisch“ gelernt haben. Eine gemeinsame Sprache wird es wohl nicht geben – aber einander zu verstehen und zu akzeptieren, das wäre schon ein großer Schritt.
Auch darum soll’s hier gehen. Um Projekte von Autist*innen.
Darum will ich euch heute eines vorstellen, das sich gerade in der Startphase befindet und sich sehr über Unterstützung freuen würde.
Denise Linke aus Berlin ist selbst Autistin und arbeitet seit einer Weile an einer, wie ich finde, tollen Idee. Sie will, gemeinsam mit Anderen, ein Magazin herausbringen, das sich mit „unseren“ Themen beschäftigt. Also mit menschlichen Themen, mit allem, was uns interessiert und beschäftigt, aber aus einer Perspektive, die sonst eher nicht in Magazinen zu finden ist. Vielleicht gewährt das auch anderen Menschen einen kleinen Einblick, wie es ist, die Welt ein wenig anders wahrzunehmen. Vor allem soll das N#MMER Magazin aber von und für uns sein, deren Gehirne ein wenig anders verdrahtet sind, um es mal salopp zu formulieren. Über Anregungen zu Themen, die von Interesse sind, freut man sich dabei immer. Erscheinen soll die erste Ausgabe, wenn das nötige Geld zusammenkommt, im 3. Quartal 2014.
Auf startnext ist gerade die Finanzierungsphase mittels Crowdfunding angelaufen. Falls euch das nichts sagt: beim Crowdfunding geht es darum, dass viele Menschen (die „Crowd“) ein Projekt mit einem variabel wählbaren finanziellen Beitrag unterstützen und so eine unabhängige Finanzierung sicherstellen (der „funding“-Teil). Projekte, die sonst keine Chance hätten umgesetzt zu werden, können so von vielen Menschen gemeinsam ermöglicht werden. Je nach Höhe des Betrages gibt es für die Unterstützer*innen unterschiedliche „Dankeschöns“. Im Fall von N#MMER bekommt man für 4,50 Euro schon die erste Ausgabe des Magazins als elektronisches Exemplar für Handy/Tablet/Computer. Für 7 Euro gibt es die Print-Version noch dazu, dann gibt es noch viele weitere mögliche Beträge. Für 100 Euro zum Beispiel unterstützt ihr nicht nur ein tolles Projekt, sondern bekommt neben dem Magazin selbst auch eine Einladung zur Release-Party in Berlin. Schaut es euch einfach mal an!
Denise und ihr Team haben sogar ein Video gedreht und momentan ist sie anscheinend ganz schön damit beschäftigt Radiointerviews zu geben oder Podcasts aufzunehmen. Hier kann man sich direkt die Aufnahme der Sendung Blue Moon (Radio Fritz) anhören und erfährt mehr über Denise und ihre Gedanken zum N#MMER-Magazin.
Update: Denise hat das Magazin auch im Realitätsfilter Podcast vorgestellt. Die 49:54 Minuten lohnen sich!
Wenn ihr wollt, dass dieses Magazin wirklich entsteht und ein paar (oder mehr) Euro dafür übrig habt, dann zögert nicht und tragt dazu bei!
Anna
Je mehr Autisten ich kenne und je mehr ich aus dem Leben der anderen erfahre, desto deutlicher wird mir eine Gemeinsamkeit bewusst. Sicher nicht bei allen, aber bei einer erschreckend hohen Anzahl.
Es ist das Gefühl, dass das Leben so schwer ist, dass es einfach eine Qual ist. Letzte Nacht hatte ich einen Traum: Ich selbst lag auf einem Krankenbett auf einer Sterbestation und ein Arzt kam und teilte mir mit, dass ich innerhalb der nächsten zwei Tage sterben würde. Später kam er wieder und meinte, er hätte sich vertan, ich hätte noch 2 Wochen. Aufgewacht bin ich mit einem Gefühl der Wut und Verzweiflung. „Was, noch 2 Wochen muss ich diesen Mist hier aushalten?“
Dabei handelt es sich nicht um eine „normale“ Depression. Das würde bedeuten, dass das Leben immer kaum aushaltbar wäre, nicht nur temporär. Es ist immer dann schlimm, wenn die Außenwelt so sehr mein Leben beeinflusst, dass ich merke, dass sie meine Kräfte übersteigt.
Ganz gut kann ich das auch an meinem autistischen Sohn beobachten. Er hatte schon in früher Kindheit geäußert, nicht mehr leben zu wollen, inzwischen bekommt er Antidepressiva. Bei ihm scheint das etwas zu helfen, auch wenn er weiter durch die Außenwelt so gestresst ist, dass er sich die Haare ausreißt und seine Finger blutig beißt – bei mir nicht. Das ist nun auch keine Überraschung, denn Autisten reagieren auf Medikamente nicht wie NT´s. Leider wissen dies nur wenige Ärzte und dementsprechend kommt von dieser Seite wenig Hilfe.
Wenn ich zum Arzt gehe und berichte, wie es mir geht, werde ich oft nicht ernstgenommen. Ich kann gar nicht mehr aufzählen, wie oft ich den Satz gehört habe: „Aber Sie sehen doch gut aus?“ Oder: „Wenn es Ihnen schlecht gehen würde, würden Sie anders aussehen“. Natürlich habe ich mir schon oft Gedanken darüber gemacht, weshalb meine inneren Nöte nicht nach draußen klingen. Einerseits fehlt mir wohl der Gesichtsausdruck, den ein leidender Mensch zeigen muss und andererseits bin ich im „Schauspielmodus“, wenn ich das Haus verlasse. Der ist schon so perfekt eingeübt, dass ich ihn gar nicht mehr aufgeben kann. Dazu gehört perfektes Styling und Makeup – alles abgeschaut. Wenn ich zu Hause bin, wird alles ausgezogen, wie eine Haut, die abgestreift wird. Sie ist nämlich nicht meine.
Ich frage mich, wie die Situation für Autisten verbessert werden könnte, damit so viele von uns nicht nur ein „etwas weniger schlechtes Leben“, sondern ein schönes Leben leben könnten. Für mich wäre zum Beispiel eine Arbeit, die mir gerecht werden würde (also nicht intellektuell unterfordernd) und die mich gleichzeitig nicht überfordert (mit Menschenkontakt, hellem Licht, lauten Tönen, etc.) ein Traum. Ich würde mich wertgeschätzt fühlen, wenn ich so eine Arbeit nicht aus einem Mitleidsakt erhalten würde, sondern weil man meine Fähigkeiten schätzt.
Das ist auch so eine Hoffnung von mir: dass die Außenwelt uns nicht nur als schwierig und Kostenintensiv und auffällig wahrnimmt, sondern als gleichwertige Mitglieder unserer Gesellschaft. Trotz all unserer Schwierigkeiten bieten wir Autisten alle einen Blick auf eine andere Welt, teilweise mit besonderen Fähigkeiten. Es wäre schön, wenn diese Welt in der realen Welt der NT´s integriert werden könnte. Dann gäbe es keinen Grund mehr zum flüchten – im schlimmsten Fall aus dem Leben.