Archiv des Autors: Odo

Der leibliche Mensch gerät ins Hintertreffen

Was macht Technik mit uns?

Betrachtet man Science-Fiction-Serien aus den 1980er und 1990er Jahren, zum Beispiel Star Trek: The Next Generation, ist jetzt im Jahr 2023 einiges etabliert, was damals noch Zukunftsmusik gewesen war. Ich denke insbesondere an Mobiltelefone und Videokonferenzen.

Bild: Marcin Wichary / Wikimedia Commons (Lizenz: CC BY 2.0)

Andere Technologien wie das Beamen gibt es noch nicht. Die Außerirdischen in Star Trek sind auch fiktiv. Doch eine Rasse kann als Sinnbild für den leiblich gefährdeten Menschen stehen: die Borg. In Star Trek sind die Borg mir besonders unheimlich, mit ihrer Symbiose aus Organischem und Technischem.

Mir fällt in unserer Zeit auf, dass unsere Technik immer dichter an unseren Körper herankommt. Mobiltelefone halten wir ans Ohr, Sensoren für die Messung des Blutzuckers klebt an unseren Oberarmen, der Fingerabdruck entsperrt das Handy. Ist der nächste logische Schritt, dass mehr Technik in den Menschen kommt? Wie es zum Beispiel in der Medizin üblich ist: Man denke nur an künstliche Herzklappen, Hüften oder Kniegelenke. Wird das Organische irgendwann ein Überlebensnachteil sein?

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Vom Glücksstreben zur Sinnfindung

Gedanken aus lebensphilosophischer Sicht

Wer Buchhandlungen besucht, besonders in der Advents- und Weihnachtszeit, findet sich wieder vor meterlangen Ratgeber-Regalen. Sie konfrontieren uns mit Ideen für ein besseres Leben: Leben ohne Salz, ohne Zucker, nur vegan, mit Intervallfasten, nicht ohne Lachyoga. Die Titelbilder locken mit einfachen Versprechungen:

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Die bist, was du denkst

Die Kraft der Selbsthypnose

Als Jugendlicher neigte ich dazu, andere belehren zu wollen. Zum Beispiel, sie von der Wichtigkeit von Umweltschutz zu überzeugen. In anderen Fällen, wünschte ich mir ein bestimmtes Verhalten, zum Beispiel Unterstützung, Beistand oder Beachtung. Weil diese Dinge nicht einzufordern waren, driftete ich in Ängste, Depression und Einsamkeit ab. Doch mit der virtuellen Begegnung zu den Gedanken zweier Menschen hat sich das Leben nach und nach hin zu mehr Freiheit durch gedankliche Flexibilität gewandelt:

Überlebensmechanismen in einer Extremsituation

Viktor Emil Frankl im Jahr 1965. Bild: Prof. Dr. Franz Vesely / Viktor-Frankl-Archiv. Bereitgestellt über Wikimedia

Die erste Begegnung war mit den Gedanken Viktor Frankls: Der in Wien geborene Psychiater und Neurologe lebte von 1905 bis 1977 und hatte eine einschneidende Erfahrung: das Überleben eines NS-Konzentrationslagers. Seine Überlebensstrategie waren die Gedanken. Zum einen konnte er durch sie trotz allen einen Sinn finden. Beispielsweise hielt Frankl in seinem Kopf Vorträge. Sein Kerngedanke war: Auch wenn die Nazi-Schergen alles nehmen können – Nahrung, Schlaf, Erholung, Sicherheit usw. – jenes aber nicht: Sich zu den Dingen so oder anders zu stellen, also seine Einstellung verändern. Nach dieser einschlägigen Erfahrung gegründete Frankl die Logotherapie bzw. Existenzanalyse, dessen Kerngedanke ist Heilung durch Sinnhaftigkeit.

Hypnose heißt Selbsthypnose

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Reflexionen über Selbstorganisation

Wie Planen und Ziele Freude machen

Wer im Autismus-Spektrum verortet ist, kann manchmal in der Wahrnehmung vieler Details größere Zusammenhänge vergessen oder sich verzetteln. Zusätzlich kann die komorbide Diagnose ADHS oder ADS dazu beitragen, Probleme zu haben, sich, sein Leben, seine Arbeit oder Freundschaften zu organisieren bzw. zu pflegen.

Ich beschäftige mich seit 2012 bewusst mit Zielen. Für mich sind sie der Rahmen für das ganze Leben. Ich beginne mich zu fragen, was mir wichtig oder lieblich ist. Daraus leite ich Jahres- und Monatsziele und Tagesaufgaben ab.

Schema: Von den Lebenswerten zu den Tagesaufgaben.

Lebensbereiche für Ziele

Neben dieser zeitlichen Einteilung hat sich für mich bewährt, Ziele in vier Lebensbereiche einzuteilen, die dann für jedes Jahr und für jeden Monat möglichst verbindlich festgelegt werden.

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Wie akustische Bildbeschreibungen Autisten*innen helfen

Durch Film und Fernsehen Mimik verstehen

Seit einigen Jahren schalte ich immer wieder mal Filme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf den zweiten Kanal, die akustische Bildbeschreibung bzw. Audio-Deskription. Damit eröffnet sich für mich eine Lernplattform. Welches Gefühl drückt die Person gerade mit ihrer Mimik aus? Ein Beispiel: „Herr Müller kommt nach Hause und beginnt sein Jackett auszuziehen. Alarmiert hält er inne.“ Nun hat er im Gesicht vermutlich einen Ausdruck, der Angst und Überraschung zeigt. Der Vorteil ist, dass man das gesehene Bild mit der Audiobeschreibung verknüpfen kann, im Gegensatz dazu, wenn Blinde den Film betrachten, bei denen die Bild-Information fehlt.

Hörfilm-Symbol für Filme mit Audiodeskription: ein abstrahiertes durchgestrichenes Auge.
Bild: SVG von CennoxX / Wikimedia

Als Autist kann ich mir kurze Mikrobewegungen im Gesicht weder lange merken, noch schnell deuten – wenn überhaupt Augenkontakt bestand. Durch die Audiobeschreibung kann ich lernen: Die Person fühlt das, also verzieht sie ihr Gesicht so.

Beim Wahrnehmen von vielen Details wegkommen

Auch die Beschreibung des Groben bzw. des Gesamtzusammenhanges ist für Autisten nicht einfach, da sie eher ein Bündel an Details wahrnehmen. Bei Hörfilmen werden zum Beispiel die Akteure mit Beschreibung markanter Merkmale eingeführt. Somit ist Audiobeschreibung nicht nur eine Schule für Mimik, sondern auch für ganzheitliche Wahrnehmung.

Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie?

Spurensuche über Alltag und Handeln

Wer kennt es nicht? Ob Schüler oder Studentinnen: Oft ist im Unterricht oder der Vorlesung der Ruf nach mehr Praxis oder Beispielen laut. Ich als Autist dagegen wäre froh, wenn mehr vom Allgemeinen zum Besonderen abgeleitet würde, nicht nur im Bereich Bildung, sondern auch im Alltag. Daher freue ich mich zum Beispiel über Termine mit Tagesordnung oder jene mit einem wiederkehrenden Ablauf, etwa ein Gottesdienst.

Die Mathematik ist prädestiniert dafür, theoretisch zu sein. Bild: © bernhard_pixler  / pixelio.de

Kleines Gespräch, große Anstrengung

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Entspannung statt Überladung

Wie Gefühle und Bedürfnisse zum Kompass fürs Wohlbefinden werden

Das Thermometer zeigt 30 Grad. Ich stehe in der prallen Sonne und verkaufe Flohmarkt-Artikel für ein Spendenprojekt der Kirchengemeinde. Mein Gesicht glüht und ich habe länger nichts getrunken. Trotzdem bemerke ich diese Bedürfnisse und Körperempfinden nicht. Erst der Hinweis einer Bekannten gab mir einen Wink gab, dass ich dringend aus der Sonne muss, etwas trinken und mich ausruhen.

Dieses Beispiel war vor meiner Autismus-Diagnose. In anderen Situationen merkte ich die Bedürfnisse, konnte sie aber weder mir selbst, noch dem Umfeld vermitteln. Auf einer Silvester-Party, die nur mit mir aus 3 Personen bestand, bin ich beispielsweise weit vor 24 Uhr nach Hause. Damals konnte ich nicht die Perspektive des Gegenübers einnehmen und mir die Wirkung des eigenen Verhaltens erklären.

Prophylaktische Entspannung suchen

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Gedanken zum Thema „Selbstwert“

Wer sich in Selbsthilfe-Foren für Menschen mit Autismus bewegt, liest dort oft biografische Berichte. Nicht selten erzählen Betroffene von Ausgrenzung, Missverständnissen oder sogar Mobbing. Leider wird in einigen Fällen der Autismus erst im Erwachsenenalter erkannt. In den Jahren zuvor entwickelten sich bei einigen Autisten und Autistinnen ernsthafte Selbstwertzweifel.

Die Gründe für Mobbing sind vielfältig. Daher sollen drei Beispiele genügen:

  • Aufgrund langsamerer Informationsverarbeitung bei Autisten ist Schlagfertigkeit meist schwer umsetzbar
  • Durch das Wörtlich-Nehmen von Aussagen, zum Beispiel Sprichwörtern, werden Autisten gerne belustigt
  • Autisten haben Probleme, sich Verhalten anderer zu erklären (Fachbegriff: „Theory of Mind“). Dies erschwert das richtige Verhalten gegenüber Mobbing umzusetzen

Theorie und Schaubild zum Thema Selbstwert

Bevor nun Gedanken folgen, wie jeder seinen eigenen Selbstwert aufbauen kann, zunächst eine theoretische Überlegung: Einen Selbstwert zu besitzen, heißt sich selbst zu mögen, auch dann, wenn von der Umwelt Abwertungen, Geringschätzung, Spott und Ähnliches auf die Person einschlagen.

Selbstwert bedeutet: Die Person haut einen Schutzpanzer gegenüber der Umwelt.

Den Selbstwert wiederfinden

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Mensch werden – Mensch sein?

Parabel-Figuren für Autismus in Star Trek

Spock, Data, Odo und Seven of Nine – vier Figuren aus dem Stark-Trek-Universum – mit einer Gemeinsamkeit: Ihr Handicap ist, Menschsein in Gänze zu verstehen und zu leben. Spock ist halb Mensch, halb Vulkanier. Data ist ein Android, Odo ein Formwandler und Seven of Nine eine Borg-Mensch-Frau. Die Figuren fallen mit ihrer größten Schwäche und größten Stärke gleichermaßen auf: Sie können brillant mit Fakten und Wissen umgehen, tun sich jedoch schwer mit sämtlichen Konventionen der sozialen Interaktion, und der Introspektion auf ihre Gefühle. Sie treten des Öfteren in Fettnäpfchen, sie imitieren und stellen naive Fragen. Data muss Small Talk trainieren, im Englischen treffend benannt mit non-relevant conversation. Seven of Nine achtet auf Effizienz, möchte lieben, aber ist durch ihre Borg-Natur eingeschränkt. Spock betont seine vulkanisch-logische Seite, aber durch trifft immer wieder das Menschliche durch. Es ist wie eine Frühgeburt, was andere durch Gene und Lernen mühelos schaffen, erlernen die vier über Umwege.

Ein Star-Trek-Kommunikator als Anstecker.

Diese vier Figuren begeistern mich seit meiner frühen Jugend. Sie sind Parabel-Figuren für Autismus, das heißt, sie spiegeln etwas zurück, was mir sehr vertraut is: Data erhält beispielsweise einen Emotions-Chip und lernt, Vokabeln für den Ausdruck von Gefühle. Mir waren diese Figuren wie Weggefährten. Vor der Autismus-Diagnose im Alter von 30 Jahren, hat mich das Gefühl begleitet, anders zu sein, unter einer Glasglocke zu sein. Gelangweilt, wenn nur Banales und Offensichtliches angesprochen wird.

Durch den Begriff des Asperger-Syndroms hat nun alles seinen Namen bekommen. Ich habe gelernt, die eigenen Grenzen anzuerkennen. Und manchmal packt mich der Stolz, wenn ich nach längerem Nachdenken und Analyse von Körpersprache die Motivation und Gefühle der Menschen verstehe, wenn auch meistens im Nachgang und nie unmittelbar. Mir fehlt nichts, nur laufen bei mir manche Dinge des Handelns, Denkens und Fühlens anders. Mensch muss ich nicht mehr werden; ich kann und brauche nicht zu werden, was ich schon bin: ein Mensch.